Gefährliche Trockenheit

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Ein Bericht der Gießener Allgemeine vom 04.08.2022 – Autorin: Christina Jung
ergänzt durch Bilder der FFW Annerod


Beim Waldspaziergang ist derzeit noch mehr Aufmerksamkeit als sonst gefragt. Angemessenes Verhalten und eine umgehende Reaktion bei Brandgeruch oder Rauchentwicklung gehören dazu. Von der andauernden Trockenheit geht eine hohe Gefahr aus. Forst und Feuerwehren sind gewarnt und gerüstet.

Temperaturen weit über 30 Grad. Kein Tröpfchen Regen in Sicht. Was für passionierte Freibadbesucher eine traumhafte Wetterlage ist, bedeutet für den Wald eine akute Gefahr. Vor allem, wenn die Trockenheit lange anhält. Weil dem so ist, hat das hessische Umweltministerium vorvergangene Woche die Alarmstufe A ausgerufen: Es besteht hohe Waldbrandgefahr, die Forstverwaltungen sind in erhöhter Bereitschaft.

»Die uns anvertrauten Wälder werden derzeit verstärkt überwacht«, sagt Jürgen Reibert, stellvertretender Leiter des Forstamtes Wettenberg. Insbesondere in den stärker gefährdeten, von Nadelhölzern geprägten Bereichen sind die Förster häufiger vor Ort, kooperieren bei der Kontrolle auch mit den örtlichen Feuerwehren.

Waldwege werden für den Ernstfall freigehalten, außerdem wurde ein telefonischer Bereitschaftsdienst rund um die Uhr eingerichtet. Aber es gehe auch darum, die Bevölkerung mittels umfassender Informationen für die Thematik zu sensibilisieren: Rauchen und offenes Feuer im Wald sind verboten, Glasteile sollten nicht weggeworfen, Zufahrten freigehalten und nur ausgewiesene Parkplätze genutzt werden, sagt Reibert.

Waldbrand in Cölbe 2022

Außerdem sei es enorm wichtig, bei Brandgeruch oder Rauchentwicklung die 112 zu wählen.

»Damit die Rettungskette so schnell wie möglich anläuft«, sagt Tobias Hennemuth, hauptberuflicher Feuerwehrmann, Wehrführer in Annerod und Experte in Sachen Wald- und Flächenbrände. Für den Landkreis hat er 2019 zusammen mit dem stellvertretenden Kreisbrandinspektor Marcus Leopold das Einsatzkonzept dazu geschrieben.

Von welcher Bedeutung das schnelle Reagieren der Einsatzkräfte ist, zeigen vor allem die Flächenbrände, zu denen sie aktuell vielfach gerufen werden und die wie die Feuer in Waldgebieten zu den Vegetationsbränden zählen. 62 Alarmierungen gab es in diesem Jahr bereits, davon 39 seit Juni. 2019 rückte die Feuerwehr zu 79 Einsätzen dieser Art aus, in den Folgejahren waren es 62 (2020) beziehungsweise 45 (2021).

Was die Flächenbrände von anderen unterscheidet, ist die Geschwindigkeit. »Diese Feuer sind sehr dynamisch«, sagt Hennemuth mit Bezug auf die Flächenbrände, nennt eine Ausbreitungsgeschwindigkeit zwischen 14 und 20 Stundenkilometern. Beim klassischen Waldbrand seien es nur ein bis anderthalb, so der Experte. »Das ist der wesentliche Unterschied zu allen anderen Einsätzen«, so Hennemuth. Aus wenigen Quadratmetern brennender Fläche können schnell mehrere Hektar werden.

Mit Blick in den Osten Deutschlands oder ins europäische Ausland sind es allerdings vielfach Brände in Wäldern, welche die Feuerwehren vor große Probleme stellen. Was macht ihre Bekämpfung so schwierig? »Der logistische Aufwand«, weiß Hennemuth. Wasser und bei Bedarf Licht müssen erst mal an den Einsatzort gebracht werden, mitunter über lange Strecken, schwieriges Gelände und Wege, die für große Fahrzeuge nicht gemacht sind. Die Vorbereitung des Einsatzes, die sogenannte Erkundungs- und Planungsphase, dauert deshalb wesentlich länger als bei anderen Einsätzen, so Hennemuth.

Dazu kommt die nicht zu unterschätzende Belastung der Feuerwehrleute. Hohe Temperaturen und die lange Dauer des Einsatzes zehren an ihren Kräften. »Pro Stunde verlieren die Einsatzkräfte einen Liter Flüssigkeit«, sagt der Brandschützer. »Wenn das nicht ausgeglichen wird, sind sie in Windeseile durch.« Außerdem brauche es dünnere Schutzanzüge für solche Einsätze – eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) zu der auch Kopfschutzhaube, -brille, Signalpfeife und Helmlampe zählen.

Das und vieles mehr steht im »Einsatztaktischen Konzept zur Bekämpfung von Vegetationsbränden im Landkreis Gießen«, das Hennemuths Feder entspringt. Seit anderthalb Jahrzehnten beschäftigt sich der Fernwalder mit dem Thema, hat zahlreiche Fortbildungen dazu absolviert. Er weiß: Der Erfolg einer effizienten Bekämpfung von Vegetationsbränden wird maßgeblich von der Ausbildung, der Taktik sowie der vorgehaltenen Ausrüstung, insbesondere leichter und mobiler Werkzeuge und Gerätschaften wie Hacken, Wasserrucksäcke oder D-Schläuchen, bestimmt.

Entsprechend wurden Löschfahrzeuge in den Kreiskommunen mit diesen Materialien ausgestattet (siehe Kasten), Schulungen zum Thema abgehalten. Denn: Mit dieser Ausrüstung und dem Wissen über die Anwendung sind die Löscheinheiten in der Lage, schnell und aggressiv die Ausbreitung von Vegetationsbränden zu unterbinden und gezielt Nachlöscharbeiten vorzunehmen, so Hennemuth.

Teil der persönlichen Schutzausrüstung<br>Foto: Frank Beck Fotografie, Gießen

Die Fernwalder Feuerwehr übernahm im Kreis eine Vorreiterrolle. Bereits vor zwölf Jahren habe man mit Mitteln von Kommune und Förderverein Wasserrucksäcke angeschafft, sagt Annerods Wehrführer. Denn: »Ich bin damit schnell vor Ort, kann ihn gezielt einsetzen und muss keinen Schlauch legen«, erklärt er. Effizientere Brandbekämpfung geht kaum.

Aus der damaligen ersten Zusatzbeladung sei in den Folgejahren immer mehr geworden. Heute verfügen die Fernwälder sogar über deutlich umfangreicheres Material als andere Feuerwehren im Landkreis und stellen deshalb auch eine ergänzende Einheit – die »Waldbrand-Komponente Feuerwehr Fernwald«, die bei größeren Vegetationsbränden automatisch mitalarmiert wird. Am Dienstag erst war sie in Richtung Weitershain unterwegs, konnte ihren Einsatz aber bereits auf der Fahrt abbrechen, da die örtlichen Kräfte den Brand schnell unter Kontrolle hatten.

Mit all dem sieht Hennemuth den Landkreis gut für die Zukunft gerüstet. Denn hessenweit gebe es kein vergleichbares Konzept. Dennoch sei je nach Entwicklung gegebenenfalls eine Anpassung nötig. »Wenn die Erfahrung zeigt, dass es nicht reicht«, so Hennemuth

Teil der Zusatzbeladung – Foto: Frank Beck Fotografie, Gießen

Positive Nachrichten gibt es mit Blick in die Zukunft auch aus dem Forstamt. Reibert: »Durch den gezielten Waldumbau in den vergangenen Jahren – weg von reinen Nadelholzbeständen hin zu standortgerechten Misch- oder reinen Laubwäldern – ist auch ein wichtiger Schritt für den Brandschutz getan.«

Bericht vom 04.08.2022 – Gießener Allgemeine www.giessener-allgemeine.de